Abbildung. Fliegenköpfe

Fliegenköpfe

Die Rubrik „Fliegenköpfe“ möchte Sie, liebe Besucher der textstark-Website, in unregelmäßigen Abständen auf sprachliche Schludrigkeiten, belanglose Worthülsen, grammatikalische Gedankenlosigkeiten und kommunikative Fehlschüsse, kurz: auf einige eklatante Beispiele des schier „unentsorgbaren“ Wort- und Sprachmülls, mit dem Sie tagtäglich konfrontiert werden, aufmerksam machen – in der (möglicherweise naiven) Hoffnung, damit einen bescheidenen Beitrag zur Qualitätsverbesserung des öffentlichen Sprachgebrauchs leisten zu können. Außerdem versteht sich die „Fliegenköpfe“-Rubrik auch als Kuriositätenkabinett der Alltags- und Umgangssprache und will in diesem Zusammenhang beispielsweise auf zu Unecht kaum beachtete Brüche in der Sprachlogik des Deutschen hinweisen.

Der – zugegeben – etwas ungewöhnliche Name dieser Rubrik stammt übrigens aus der Sprache der Drucker: Als dieses altehrwürdige Gewerbe noch ein richtiges Handwerk war, verstanden die Meister der Schwarzen Kunst unter einem „Fliegenkopf“ etwas ausgesprochen Unschönes, nämlich einen versehentlich kopfüber gesetzten Buchstaben, der im Druckbild ein hässliches schwarzes Kästchen erzeugt.

Diese Rubrik „Fliegenkopf“ zu nennen, möge als Hommage an den verehrten Kollegen Bastian Sick verstanden werden, der sich in den vergangenen Jahren als Sprachpfleger vom Dienst bei „Spiegel Online“ enorme Verdienste um die deutsche Sprachkultur erworben hat. Denn auch der Name der Sick’schen Kolumne („Zwiebelfisch“) entstammt der Druckersprache: Er bezeichnet einen mitten in einem Text stehenden Buchstaben eines falschen Schrifttyps.

KW
02
2006

Der Fliegenkopf XIX

Das weibliche Neutrum

„Eine schlimme, leider wintertypische Nachricht musste man in der ersten Woche des neuen Jahres vernehmen: „Zwei Kinder in Brandenburg auf einem zugefrorenen See ins Eis eingebrochen – ein neunjähriges Mädchen ertrank, ihre fünfjährige Freundin konnte gerettet werden.“ Trauer und Mitgefühl ausblendend erkennt man in der Formulierung dieser Meldung einen weit verbreiteten Fehler im Umgang mit Possessivpronomen: Obgleich es sich bei Mädchen zweifellos um Kinder weiblichen Geschlechts handelt, ist das Wort „Mädchen“ grammatikalisch gesehen ein sächliches – erkennbar an seinem Artikel „das“. Dieser wiederum bedingt, dass das entsprechende besitzanzeigende Fürwort „sein“ bzw. „seine“ lauten muss, was den obigen Nachrichtentext korrekterweise so aussehen ließe: „Ein neunjähriges Mädchen ertrank, seine fünfjährige Freundin konnte gerettet werden.“ Vermutlich ist dieser Fehler so „beliebt“, weil es dem gängigen Sprachgefühl heftig widerstrebt, das vermeintlich ausschließlich männliche Pronomen „sein“ auf ein weibliches Wesen anzuwenden – ein augenfälliges Beispiel für all jene Fälle, in denen die deutsche Grammatik der allgemeinen linguistischen Ästhetik entgegensteht.
Wie sehr sich offensichtlich gerade bei einer wachsenden Zahl professioneller Schreiber das Sprachgefühl gegen die Grammatik wehrt, dokumentiert beispielhaft diese Angabe eines Sendungsinhalts aus dem Teletextprogramm des Hessen-Fernsehens: „Bärbel Schäfer – der Ex-TV-Star stellt ihren neuen Roman vor.“ Auch hier hätte – ohne die Weiblichkeit Frau Schäfers in Zweifel ziehen zu wollen – bezogen auf das männliche Substantiv „Star“ korrekterweise von „seinem Roman“ gesprochen werden müssen. Gänzlich aus dem Ruder läuft die Geschlechtsfrage bei diesen Exempeln aus vorgeblich professioneller Feder: „Die Entertainment-Zeitschrift ‚Kulturnews’ erscheint mit seiner September-Ausgabe in komplett verändertem Design“, meldete das Marketing-Fachmagazin „Horizont“ im August 2005; „BBC öffnet sein Archiv“, schlagzeilte die „Netzeitung“ ein paar Wochen später, um den Artikel darunter mit „Die BBC erlaubt jedermann…“ zu beginnen. Schön falsch auch dieser Meldungstext jüngsten Datums (einmal mehr dem „hr-text“ entnommen): „Das Ehepaar wurde bei dem Autounfall verletzt, ihre Kinder hingegen blieben unversehrt.“ Aber vielleicht sollte man derlei männlich-weiblich-sächliche Ver(w)irrung nicht so eng sehen und sich lieber darüber freuen, dass sich das Aufbrechen verkrusteter Geschlechterklischees nun auch in der Anwendung der deutschen Grammatik niederzuschlagen beginnt...

KW
52
2005

Der Fliegenkopf XVIII

Mitternacht – die Stunde null?

„Gewinnspiel zur großen Silvester-Gala: Am Samstag, 31. Dezember, steigt im Wiesbadener Kurhaus wieder die große Silvester-Gala. Wer dabei sein möchte, hat jetzt noch die Chance dazu, denn auf wiesbaden.de werden bis heute, 29. Dezember, bis um 0 Uhr noch 5 x 2 Karten verlost“ – dieser freundliche Hinweis, verbreitet von den Marketing-Experten der Stadt Wiesbaden, erreichte die Abonnenten des landeshauptstädtischen E-Mail-Newsletters in den Nachmittagsstunden des 29. Dezember 2005. Abgesehen vom unschönen „bis“-Formulierungsdoppel enthält die Gewinnspiel-Ankündigung einen gravierenden Fehler, der – wäre er kein Fehler – die gesamte Nachricht obsolet machen würde: Denn dauerte das Gewinnspiel tatsächlich nur bis zum 29. Dezember um 0 Uhr, wäre es zum Verbreitungszeitpunkt der Meldung bereits seit vielen Stunden beendet gewesen. Der Grund: 0 Uhr am 29. Dezember ist die Mitternachtsminute in der Nacht vom 28. auf den 29. Dezember (und nicht etwa in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember)! Die Zeitangabe, die die Wiesbadener Newsletter-Redakteure gewiss eigentlich gemeint haben, wäre mit „29. Dezember, 24 Uhr“ korrekt benannt – und wäre gleichbedeutend mit der Angabe „30. Dezember, 0 Uhr“. Gleichzeitig erklärt sie, wann korrekterweise auf das Neue Jahr angestoßen wird: nicht etwa an Silvester um 0 Uhr, ebenso wenig an Neujahr um 24 Uhr, sondern an Silvester um 24 Uhr oder an Neujahr um 0 Uhr. In diesem Sinne: Alles Gute für 2006!

KW
50
2005

Der Fliegenkopf XVII

Der tagelange Abend

Weihnachten naht – und mit ihm die alljährliche Sprachverwirrung um die korrekte Bezeichnung des 24. Dezember. Verwirrung? Wieso eigentlich? Nennt doch jeder Kalender diesen Tag unmissverständlich bei seinem Namen: „Heiligabend“! Dennoch drohen immer dann Missverständnisse, wenn es gilt, eine zielgenaue Bezeichnung für die Abendstunden dieses besonderen Tages – für jene Stunden also, die diesen Tag so einzigartig machen – zu finden: „Abend des Heiligabends“? Oder gar „Heiligabendabend“? Wohl kaum…
Den Sprachgebrauch der letzten Jahre genau beobachtend, lässt sich eine interessante Differenzierung erkennen, die einen Lösungsweg aus dem kalendarischen Dilemma aufzeigt: Nach wie vor wird, wenn der 24. Dezember in seiner Gänze gemeint ist, von „Heiligabend“ gesprochen („An Heiligabend haben die Geschäfte vormittags geöffnet“); gilt es jedoch, die Stunden ab Einbruch der Dunkelheit – und damit auch den klassischen familiären Bescherungszeitpunkt – zu benennen, kommt verstärkt die Variante „Heiliger Abend“ zum Zuge („Den Heiligen Abend verbringe ich traditionell bei meinen Eltern“). Trotz – oder gerade wegen – der nur geringfügigen semantischen Abweichung haben wir es hier mit einer feinen Unterscheidung zu tun, die erfreulicherweise erheblich zu sprachlicher Klarheit beiträgt. Was bleibt? Ach ja: ein Wunsch – frohes Fest!

KW
48
2005

Der Fliegenkopf XVI

Grundsätzlich missverständlich: „grundsätzlich“

„Grundsätzlich sind Klimaautomatik, elektrische Parkbremse und Xenon-Scheinwerfer an Bord; ESP, aktive Kopfstützen und neun Airbags sorgen für Sicherheit“ – mit dieser Aufzählung beschrieb „Spiegel Online“ in der vergangenen Woche die umfangreiche Serienausstattung eines neuen KFZ-Modells. Die durchaus beeindruckende Auflistung der Sicherheitselemente verdeckte dabei ein Kuriosum des deutschen Sprachgebrauchs: die höchst unterschiedliche Verwendung des Wortes „grundsätzlich“. Wer die gesprochene wie auch die geschriebene Sprache genau beobachtet, wird feststellen, dass „grundsätzlich“ – ähnlich wie seine Fremdwort-Pendants „generell“ und „prinzipiell“ – heutzutage meist im Sinne eines „Ja, aber“ benutzt wird. So erklärte ein Wiesbadener Gastwirt im vergangenen Sommer generös: „Grundsätzlich nehmen wir keine Tischreservierungen für unsere Restaurantterrasse entgegen, aber bei Ihnen machen wir natürlich eine Ausnahme!“ Gerne wird in solchen Fällen zur Unterstreichung des Ausnahmecharakters ein „eigentlich“ hinzugefügt („Eigentlich nehmen wir ja keine Reservierungen für die Terrasse an, aber...“).
Grundsätzlich (!) anders verhält es sich mit der zweiten Verwendungsvariante, die sich am besten mit „ausnahmslos“ umschreiben lässt: Schallt einem im Café ein deutliches „Auf der Terrasse servieren wir grundsätzlich nur Kännchen!“ entgegen, weiß man sofort, dass jede Diskussion fruchtlos enden wird – an Ausnahmen ist hier unter keinerlei Umständen auch nur zu denken! Dazu passt, dass diese Kompromisslosigkeit ausdrückende Form von „grundsätzlich“ besonders stark im Behördendeutsch vertreten ist: „Hiermit wird Ihnen grundsätzlich untersagt, ein Kraftfahrzeug zu führen!“
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es noch eine dritte Variante gibt, bei der „grundsätzlich“ im Sinne von „fundamental“ zu verstehen ist: So wird beispielsweise von wahlkämpfenden Politikern gerne angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs werde man bestimmte politische Probleme „grundsätzlich neu angehen“. Dass sich derlei Vollmundigkeit nach dem Urnengang nicht selten in die oben genannte „Ja, aber“-Variante verkehrt, ist übrigens eine ziemlich alte Erkenntnis – es handelt sich mithin um kein akutes Phänomen dieser großkoalitionären Tage...

KW
46
2005

Der Fliegenkopf XV

8ung, Wortspiel mit Zahlen!

Witzig veranlagte Zeitgenossen, die die Virtuosität ihres Umgangs mit der deutschen Sprache auf besonders originelle Weise unter Beweis stellen wollen, neigen dazu, außer offensichtlich unausrottbaren Wortspielen à la „Teigwaren heißen Teigwaren, weil sie mal Teig waren“ auch – sozusagen als Steigerung – Wortspiele mit Zahlen zum Besten zu geben. So stand auf dem Sendeplan des WDR-Fernsehens jahrelang ein Kabarett- und Comedy-Format mit dem – der Sendezeit geschuldeten – Namen „Nachtschicht“. Als Nachweis rabulistischer Kompetenz legte die zuständige Redaktion allerdings größten Wert auf die Schreibweise „N8chtschicht“, übersah dabei jedoch, dass die Acht hierbei doppelt – und damit genau ein Mal zu viel – vorkam: erstens als Ziffer, zum zweiten in ausgeschriebener, um das „a“ verkürzter Form. Dass die wortspielerisch korrekte Schreibweise „N8schicht“ hätte lauten müssen, wurde schlicht übersehen.
Aber auch weniger auf – vermeintliche – Originalität bedachte Sprachnutzer erweisen sich beim kombinierten Umgang von Zahlen und Ziffern mit Worten und Wörtern (übrigens: wer kennt eigentlich den Bedeutungsunterschied zwischen „Zahl“ und „Ziffer“ einer- sowie zwischen „Worten“ und „Wörtern“ andererseits?) oftmals als wenig sattelfest: Immer wieder muss man von der „125igsten“ Wiederkehr irgendeines Jahrestages lesen – obwohl doch die „-ig“-Endung in der ausgeschriebenen Zahl „einhundertfünfundzwanzig“ bereits enthalten ist (ansonsten müsste das ausgeschriebene Zahlwort ja „einhundertfünfundzwanz“ lauten)! Wer solcherlei Formulierung fehlerfrei hinbekommen möchte, dem stehen in Fällen wie diesen übrigens gleich zwei Varianten zur Verfügung: entweder die „125ste Wiederkehr“ oder – stilistisch gelungener – die „125. Wiederkehr“ (der Punkt hinter der Zahl übernimmt hier die Funktion der Silbe „-ste“).
Vermutlich jedoch werden sich allzu viele Grammatikignoranten leider auch von derlei semantischen Hilfestellungen nicht auf den Pfad sprachlicher Tugend zurückführen lassen – auch wenn solche Hinweise zum xsten (oder x.) Mal wiederholt werden...

KW
43
2005

Der Fliegenkopf XIV

An (oder auf) der Präpositionengrenze

„Wie die ‚Augsburger Allgemeine’ berichtet, sähen Teile der schwäbischen CSU gerne den ehemaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel als künftigen bayerischen Ministerpräsidenten. ‚Wir haben nicht so viele Supertalente in der Politik, als dass man einen wie Theo Waigel in Seeg am Sofa liegen lassen sollte’, sagte der schwäbische Alt-Parlamentarier Karl Kling (CSU) der Zeitung.“ – so weit ein Zitat aus einer „Spiegel Online“-Meldung vom 25. Oktober. Abgesehen von der durchaus interessanten, weil neuen Perspektive für die Stoiber-Nachfolge in der bayerischen Staatskanzlei, und jenseits der für Nichtbayern möglicherweise erklärungsbedürftigen geografischen Angabe Seeg – es handelt sich um den im südlichen Allgäu gelegenen Wohnort Theo Waigels – wird an dem von „Spiegel Online“ zitierten Zitat des CSU-Politikers Kling eines deutlich: Durch Deutschland verläuft eine unsichtbare Präpositionengrenze! Wäre Herr Kling norddeutscher Herkunft, hätte er Theo Waigel mit Sicherheit nicht „am“ Sofa, sondern – dem Duden gemäß – „auf dem“ Sofa verortet; aus Süddeutschland oder aus den ehemals deutschen Gebieten im Osten Mitteleuropas stammende Menschen hingegen sitzen oder liegen tatsächlich „am“ Sofa, wenn sie sich im Wohnzimmer gemütlich niedergelassen haben. Sobald man die örtliche Bestimmung ändert, sind die regionalen Unterschiede der Präpositionenverwendung allerdings nicht mehr so klar erkennbar: Ob beispielsweise ein heruntergefallenes Geldstück „am“ oder „auf dem“ Boden liegt, lässt nur begrenzt einen Rückschluss auf die Herkunft desjenigen zu, der diese oder jene Formulierung von sich gibt. Noch problematischer wird es, wenn Fachsprachen mit hineinspielen: So ist im Wirtschaftsdeutsch ein Unternehmen üblicherweise „am“ Markt präsent, kann sich dort jedoch umso besser behaupten, je erfolgreicher es seine Produkte „auf den“ Markt bringt – und idealerweise wird es mit dem wirtschaftlichen Erfolg in die Lage versetzt, Arbeitsplätze schaffen und damit zu einer Belebung „am“ Arbeitsmarkt beitragen zu können.
Dem pensionierten Ex-Bundesfinanzminister können derlei Formulierungsfragen ziemlich egal sein – und vielleicht löst Theo Waigel sie ja auf ganz einfache Weise: indem er sich beispielsweise statt aufs Sofa in einen Sessel setzt...

KW
41
2005

Der Fliegenkopf XIII

„Dieser“, „nächster“, „kommender“ – die etwas andere Sonntagsfrage

Ein trister Morgen Ende September, bestens geeignet zum unaufgeregten Vor-Sich-Hindösen – die leichte Verschlafenheit des Verfassers dieser Zeilen endet jedoch jäh, als der Nachrichtensprecher im Radio, über einen spektakulären, an diesem Tag beginnenden Gerichtsprozess berichtend, erklärt: „Die Tat geschah im September vor einem Jahr.“ Zur Erinnerung: Diesen Satz verkündet der Sprecher im September – was unaufhaltsam zu der Frage führt, welchen September er damit eigentlich gemeint hat: den derzeitigen, also den 2005er? Aber wieso hat er dann nicht einfach und unmissverständlich „Die Tat geschah vor einem Jahr“ gesagt? Oder war vielleicht doch der September des zurückliegenden Jahres gemeint (was hieße, dass die Tat bereits zwei Jahre her ist)? Kaum wahrscheinlich, dennoch aufgrund der leider mehrdeutigen Formulierung nicht ganz auszuschließen, ist die dritte Möglichkeit: Der Sprecher hat den nächsten September gemeint – in diesem Fall allerdings hätte sich die Tat erst wenige Tage vor der Ausstrahlung der Radionachrichten ereignen dürfen...
Weder die Tat noch der Zeitpunkt, zu dem sie verübt wurde, lassen sich an dieser Stelle rückwirkend aufklären; glasklar wird angesichts dieses Beispiels hingegen, dass zum sorgsamen Umgang mit der deutschen Sprache auch die Zielvorgabe gehört, beim Hörer oder Leser keine Fragezeichen hervorzurufen, sondern Ausrufezeichen – also Klarheit – zu produzieren. Die Gefahr missverständlichen Formulierens lauert im Deutschen leider ohnehin in jedem Satz, und zeitliche Angaben stellen dabei ein besonderes Risiko dar: Oder wissen Sie, liebe Leser, auf Anhieb, welcher Sonntag gemeint ist, wenn Ihnen ein Gesprächspartner an einem Freitag vorschlägt, sich am „nächsten Sonntag“ zu treffen? Gewiss: Streng genommen und wortgetreu ausgelegt ist, von einem Freitag aus betrachtet, der „nächste Sonntag“ der nächstgelegene Sonntag, also der übermorgige Tag. Jedoch hat es sich umgangssprachlich eingebürgert, mit einer solchen Formulierung auf den Sonntag der nächsten Woche abzuheben, mithin eigentlich den übernächsten Sonntag zu meinen. In manchen Regionen Deutschlands wird in solchen Fällen häufig zwischen „diesem Sonntag“ und „nächstem Sonntag“ unterschieden, was die Missverständnisgefahr jedoch nur geringfügig reduziert. Das Ziel der Eindeutigkeit der Formulierung lässt sich hier wohl am ehesten durch das Wort „kommend“ erreichen: Wer freitags vom „kommenden Sonntag“ spricht, meint wohl schwerlich den übernächsten Sonntag; mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zielt er auf den übermorgigen Tag – vorausgesetzt, er schenkt der Verständlichkeit seiner Rede mehr Aufmerksamkeit als so mancher Hörfunknachrichtensprecher an einem tristen Septembermorgen...

KW
39
2005

Der Fliegenkopf XII

Wenn Sprachbilder k. o. gehen

Deutschlands Box-Legende Max Schmeling wäre in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden. Leider ist es dem Vorzeigesportler des 20. Jahrhunderts nicht vergönnt, sein dreistelliges Wiegenfest zu erleben – der stets bescheidene und gerade auch deswegen verehrte „Held der Ringe“ starb vor gut einem halben Jahr, im Februar 2005. Als damals eine Zeitung die Meldung vom Ableben Schmelings mit der Schlagzeile „Max wirft zum letzten Mal das Handtuch“ kommentierte, fragten sich viele Leser, ob eine solche Überschrift nicht ein wenig geschmack-, wenn nicht gar pietätlos sei – hingegen dürfte kaum einem der Medienkonsumenten aufgefallen sein, dass hier wieder einmal ein zwar gängiges (wer das Handtuch wirft, gibt auf oder zieht sich zurück), nichtsdestoweniger ziemlich angeschlagenes Sprachbild strapaziert wurde. Denn wer sich im Boxsport auch nur ein bisschen auskennt, weiß, dass es niemals der Boxer selbst ist, der als Zeichen des Akzeptierens seiner Niederlage (s)ein Handtuch in den Ring wirft; vielmehr ist dies Sache des Trainers oder eines Betreuers, sobald dieser von außen erkennen muss, dass sein Schützling keine Chance mehr hat, den Gegner zu bezwingen. Sooft also das Sprachbild vom geworfenen Handtuch auch bemüht wird (übrigens besonders gerne in politischen Zusammenhängen: nach jedem Rücktritt eines Ministers oder eines anderen bedeutenden Funktionsträgers schleudern die Medien ihrem Publikum diese Metapher faustschlagartig entgegen), es ist fast immer falsch – denn dass ein Rückzug nicht ausschließlich im eigenen Ermessen des Betroffenen liegt, sondern der alleinigen Entscheidung eines Außenstehenden vorbehalten bleibt, kommt außer beim Boxen wohl nirgends vor. Obschon es ja gerade die Politik ist, in der sich so mancher Akteur (beispielsweise der eine oder andere Kanzleramts-Aspirant) bisweilen einem heftigen, nicht selten ganz und gar unerwarteten Rückzugsdruck von Seiten eigener Parteifreunde ausgesetzt sieht – einem Druck, der durchaus mit heftigem Handtuchschwenken von außerhalb des Boxrings vergleichbar ist und der manchmal tatsächlich einen politischen K.-o.-Schlag nach sich zieht...

KW
37
2005

Der Fliegenkopf XI

Das Vakuum von New Orleans

Als wären die unmittelbaren Folgen des Hurrikans „Katrina“ – die Zerstörung der Infrastruktur weiter Landstriche im Süden der USA – nicht schon schlimm genug, wird allmählich immer deutlicher, dass die Region wohl für lange Zeit unbewohnbar bleiben wird. Also gilt es, nun auch die letzten in New Orleans und Umgebung noch ausharrenden Menschen zu evakuieren – so zumindest teilen es uns die Medien mit. Ohne im Angesicht der Jahrhundert-Katastrophe kleinlich werden zu wollen: Die Formulierung „Menschen evakuieren“ ist absoluter Nonsens! Menschen werden gerettet und in Sicherheit gebracht (sofern eine Regierung dazu imstande ist), evakuiert jedoch werden Gebäude, Städte oder gar – siehe Louisiana, Mississippi und Alabama – ganze Regionen. Warum das so ist? „Evakuieren“ lässt sich am besten mit „entleeren“ oder „ausräumen“ übersetzen; hör- und sehbar steckt ein „Vakuum“ im Verb „evakuieren“, das sich in technischen Zusammenhängen folgerichtig auch als „luftleer machen“ eindeutschen lässt. Somit ist klar, dass die Rettungsmaßnahmen nicht das „(Aus-)Räumen“ von Menschen, sondern das „Entleeren“ der Städte und Ortschaften zum Ziel haben. Unbegreiflich hingegen bleibt die Ursache eines anderen Vakuums – des Vakuums an Hilfe nämlich, zu deren Organisation sich die Regierung des mächtigsten Landes der Welt eine ganze Woche lang nicht fähig oder nicht willens zeigte...

KW
36
2005

Der Fliegenkopf X

Vom (sprachlichen) Wert der Wertigkeit

Auch Sprache unterliegt der Mode: Bestimmte Begriffe oder Formulierungen sind eine Zeit lang „in“, danach gilt als rückständig, wer sie weiterhin verwendet. Anders als die Bekleidungsbranche, deren textile, den Zeitgeist widerspiegelnde Neuschöpfungen regelmäßig auf Laufstegen präsentiert werden, kennt die Sprachmode jedoch keine „Revivals“: Während Schlaghosen, Parkas oder überdimensionierte Kragenecken schon längst fröhliche Urständ’ gefeiert haben, wartet man bislang leider vergebens auf die Wiedergeburt so herrlicher 70er-Jahre-Ausdrücke wie beispielsweise „dufte“ (für die Jüngeren unter den Lesern: heute sagt man stattdessen „geil“, „cool“ oder „fett“). Zu einem scheinbar unverzichtbaren Accessoire der modischen Sprachkollektion 2004/05 hat sich das Wort „wertig“ entwickelt, das besonders gerne von sich wichtig gebenden – und meist auch so aussehenden – Angehörigen von Kreativ- und Marketingberufen im Munde geführt wird. Offensichtlich abgeleitet vom – unmissverständlichen – Adjektiv „hochwertig“, gibt es für „wertig“ hingegen keine klare und objektive Definition, was unterschiedlichen Individual-Interpretationen Tür und Tor öffnet und damit das Aneinandervorbeireden befördert; gleichzeitig jedoch – und darin dürfte die Ursache der großen Beliebtheit von „wertig“ zu finden sein – verleiht das Wort seinem Benutzer eine wissende Aura und dessen Urteil eine schier sakrosankte Unzweifelhaftigkeit. So ist es denn wohl auch kein Zufall, dass „wertig“ überwiegend in Negativ-Bezügen anzutreffen ist („nicht wertig genug“) und somit meist die Quintessenz einer kritischen Äußerung gegenüber der (Kreativ-)Leistung eines Anderen darstellt. Dennoch: Selbst die respektheischende Wirkung der Verwendung von „wertig“ lässt sich (Achtung, Modewort!) toppen – stammt der Begriff „Wertigkeit“ doch ursprünglich aus der Chemie, wo er gelegentlich durch den inhaltsgleichen Begriff „Valenz“ ersetzt wird. Daher von dieser Stelle ein Tipp an die Adresse aller wichtigkeitssüchtigen Sprechblasen-Absonderer: Noch bedeutungsschwerer wirkt, wer seine Kritik künftig in die Worte „Das ist nicht valent genug!“ kleidet...

Dank an Felix Müller-Stolz, von dem die Idee zu diesem „Fliegenkopf“ stammt.

KW
34
2005

Der Fliegenkopf IX

Prost Lorbeer!

In Wiesbaden, wo jeder „Fliegenkopf“-Beitrag entsteht, wurde in der vergangenen Woche gefeiert: Schon zum 30. Mal fand in der Innenstadt das traditionelle Weinfest statt. Zur guten Tradition der auch „Weinwoche“ genannten vinophilen Festivität gehört es, dass sich prominente Persönlichkeiten aus Kommunal- und Landespolitik sowie aus der Medienwelt einen Nachmittag oder Abend lang ehrenamtlich als Mundschenke betätigen – der Verkaufserlös des dabei unter die durstigen Festbesucher gebrachten Weins kommt einem karitativen Zweck zugute. Über eine Gruppe von fünf Lokal-Größen, die heuer schon zum zehnten Mal in Folge in identischer Zusammensetzung den „Charity-Wein“ ausschenkten, schrieb am 19. August die hiesige Lokalpresse: „Zum Jubiläum wurden nun die Schürzen des Quintetts, auf denen die Weinrömer eines jeden Jahres verewigt sind, mit einem Lorbeerkranz gebührend veredelt.“ Der Artikel, in dem dieser Satz zu finden war, trug die bemerkenswerte Überschrift: „Traditions-Schicht feierte mit Lorbeeren“ – und genau hier ist die Redakteurin einem weit verbreiteten Irrtum aufgesessen: Wer sich Verdienste, gleich welcher Art, erwirbt, verdient sich redensartlich (seinen) Lorbeer – womit Bezug genommen wird auf die aus den grünen Blättern des Lorbeerbaums gewundenen Kränze („Lorbeerkranz“), die man im Altertum verdienten Feldherren, Künstlern und Sportlern aufzusetzen pflegte. Womit jedoch bekränzte man die zu ehrenden Häupter zu keiner Zeit und unter keinen Umständen? Genau: Mit den blauschwarzen Beeren des Lorbeerbaums, die deswegen zu Recht als „Lorbeeren“ in kaum einem Wörterbuch oder Lexikon zu finden sind (im Übrigen gelten sie als ungenießbar – im Gegensatz zu den Lorbeerblättern, die vielfach in guten Küchen Verwendung finden). Aus dem genannten Grund ist auch die weit verbreitete Redensart „sich auf seinen Lorbeeren ausruhen“ – mit der man gewöhnlich jemanden kritisiert, der sich nach erfolgter Ehrung satt und bequem zurücklehnt – unsinnig, denn wer sich selbstzufrieden in seinem eigenen Ruhm sonnt, ruht bildlich gesprochen nicht etwa auf den Früchten, sondern auf den Blättern des Lorbeerbaums! Wie weit verbreitet dieses Missverständnis ist, zeigt die Tatsache, dass selbst die deutschen Übersetzer von „Asterix“ den 18. Band der gallischen Abenteuergeschichten mit „Die Lorbeeren des Cäsar“ betitelt haben… Zurück zum Wiesbadener Weinfest: So lange hier statt Lorbeerblättern und Lorbeer-Beeren Weinlaub und Weintrauben tonangebend bleiben, fällt das Urteil über verunglückte Sprachbilder mit jedem Glas trockenen Rieslings zunehmend milder aus – wohl bekomm’s!

KW
33
2005

Der Fliegenkopf VIII

Alles Fußball – oder was?

Für Millionen deutscher Männer hat jetzt der Samstagnachmittag endlich wieder einen Sinn: Am vorletzten Wochenende hat die Bundesliga wieder angefangen! „Welche Bundesliga?“, könnten ahnungslose Ignoranten (oder ignorante Ahnungslose) jetzt fragen – und hätten damit gar nicht mal so Unrecht… Denn schließlich gibt es hierzulande mehrere Dutzend Sportarten, die ihre spitzensportlichen Wettkämpfe in einer Bundesliga austragen – von publikumsstarken Disziplinen wie Eishockey und Tischtennis bis hin zu eher exotischen Ertüchtigungs-Genres wie Rugby, Kegeln oder Schach. Es spricht für eine gewisse Arroganz der Fußballbranche, dass viele ihrer Akteure – ob Spieler, Funktionäre, Journalisten oder Fans – den Begriff „Bundesliga“ für sich gepachtet zu haben glauben und andere Sportarten damit verbal ins Abseits drängen. Gleiches gilt für die Funktionsbezeichnung „Bundestrainer“: Kaum jemand fühlt sich bemüßigt, die Wortergänzung „Fußball-“ voranzustellen, wenn von Jürgen Klinsmann gesprochen oder geschrieben wird – dabei hat „Klinsi“ in all den oben genannten Ligen Amtskollegen, die gleiche Rechte am Führen dieses Titels geltend machen können. Der fußballerische Alleinbesitzanspruch auf die Amtsbezeichnung „Bundestrainer“ ist übrigens uralt; es gab ihn schon zu Sepp Herbergers Zeiten in den 50er- und 60er-Jahren – was ihn allerdings keineswegs weniger kritikwürdig macht. Interessanterweise bezieht sich dieser Anspruch offensichtlich jedoch nicht auf den bedeutungsgleichen Terminus „Nationaltrainer“: Dieser ist ohne ein vorgeschaltetes „Fußball-“ kaum anzutreffen, was den Verdacht nahe legt, dass es die Vorsilbe „Bundes-“ ist, auf der der Alleinbesitzanspruch fußt – sind es doch die mit „Bundes-“ beginnenden politischen Funktionsbezeichnungen („Bundespräsident“, „Bundeskanzler“, „Bundestagspräsident“ etc.), die für Ämter stehen, die tatsächlich einzig sind. Mithin handelte es sich wohl um eine Art Menetekel, als es zu Zeiten von Herbergers Nachfolger Helmut Schön einmal in einer Nachrichtensendung zu einem unvergessenen Versprecher kam: „Bundeskanzler Schön“ – sic!

KW
32
2005

Der Fliegenkopf VII

Wie das mit dem Ablauf abläuft

Same procedure as every year: Kurz vor Beginn des Sommerurlaubs – wenn’s ganz dumm läuft, dann auch erst während der Reise – stellen nicht wenige Zeitgenossen fest, dass ihr Personalausweis oder Reisepass nicht mehr gültig ist. So stehen sie dann gestresst und genervt vor den Schaltern der Einwohnermeldeämter; der Satz, den die dortigen Mitarbeiter in diesen Tagen am häufigsten zu hören bekommen, lautet vermutlich: „Mein Ausweis ist abgelaufen und muss dringend verlängert werden!“ Trotz der Eile, in der sich Menschen verständlicherweise befinden, die sich neben den ganzen Urlaubsvorbereitungen zu allem Überfluss auch noch mit nicht mehr gültigen Personaldokumenten herumärgern müssen, sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass ein Ausweis genauso wenig ablaufen wie ein Pass verlängert werden kann – statt der Papiere selbst ist es nämlich immer nur ihre Gültigkeit, die man sprachlich mit „ablaufen“ und „verlängern“ verknüpfen sollte. Gleiches gilt auch für den nach einem Blick in den Kühlschrank nicht selten zu vernehmenden Ausruf: „Du, die Milch ist abgelaufen!“ Nein, nicht die Milch, sondern ihre Haltbarkeit ist abgelaufen – oder (schöner, aber eher selten) ihr Haltbarkeitsdatum ist verstrichen. Auch Uhren können, obschon immer wieder zu lesen, nicht ablaufen, nur Fristen können dies; und trotz der ebenfalls nicht selten zu vernehmenden Forderung so mancher Partei, das eine oder andere Gesetz müsse dringend verlängert werden, dreht es sich auch hierbei natürlich nur um dessen Laufzeit. Ablaufen kann im Übrigen auch Badewasser, das sich strudelförmig aus der Wanne verabschiedet – ganz abgesehen von den Schuhsohlen, die man sich abläuft, weil man zur „Verlängerung“ seines „abgelaufenen“ Ausweises mehrfach die dafür zuständige Behörde aufsuchen muss…

KW
30
2005

Der Fliegenkopf VI

Wenn Brandstifter stiften gehen

Es ist Sommer, und wie – leider – in beinahe jedem Jahr brennt es in Südeuropa: In Südfrankreich, Spanien und Portugal, auch in Griechenland, sowie auf diversen Mittelmeerinseln stehen große Waldflächen in Flammen; Spanien musste sogar vor kurzem den Tod von elf Feuerwehrleuten und Forstarbeitern melden, die bei der Feuerbekämpfung ums Leben kamen. In der medialen Berichterstattung über die Waldbrände ist immer wieder davon die Rede, manche der Feuer seien durch Brandstiftung verursacht worden – der Leser, Zuschauer oder Zuhörer fragt sich daraufhin verwundert, bisweilen auch empört, wie es denn sein kann, dass jemand absichtlich im Wald Feuer legt. Doch halt: Genau hier beginnt das Missverständnis, das im Übrigen ein anschauliches Beispiel für das Auseinanderdriften von Umgangssprache einerseits und Fachsprache – in diesem Fall Juristensprache – andererseits ist. Umgangssprachlich steht „Brandstiftung“ stets für das bewusste und willentliche Entfachen eines Feuers, während die Rechtsgelehrten diesen Begriff erheblich weiter fassen und deshalb einem Bedeutungssplitting unterziehen: Juristen nämlich unterscheiden zwischen der vorsätzlichen Version der Brandstiftung (dies ist jene Variante, von der der Volksmund grundsätzlich ausgeht) und der fahrlässigen, um die es sich beispielsweise immer dann handelt, wenn jemand eine Zigarettenkippe unachtsam auf trockenen Waldboden fallen lässt und dadurch ein Feuer auslöst. Die letztgenannte Version jedoch ist – dem Volksmund zuwider – jene, die in den allermeisten Fällen gemeint ist, wenn es in den Medien mal wieder heißt: „Wie die Ermittlungen der Behörden ergeben haben, ist das Feuer auf Brandstiftung zurückzuführen.“

KW
27
2005

Der Fliegenkopf V

Mit Händen und Füßen – oder Fingern und Zehen?

Unter der Überschrift „Der gepflegte Mann“ verkündete ein Lifestyle-Magazin kürzlich folgende Weisheit: „Wer im Sommer offene Sandalen – selbstverständlich ohne Socken! – trägt, sollte auf gepflegte Füße großen Wert legen.“ Insbesondere, so die Ratgeber-Redakteure weiter, hätten Sandalenträger bei klimatisch bedingter Strumpflosigkeit ihren Fußnägeln das gleiche Maß an pflegerischer Aufmerksamkeit zu widmen wie den Fingernägeln. Stopp, liebe Pedi-Journalisten – schon mal darüber nachgedacht, dass es im Hinblick auf die menschlichen Extremitäten zwei unterschiedliche Begriffspaare gibt? So wie einerseits Hände und Füße semantisch zusammengehören, bilden Finger und Zehen das andere Wortduo – mithin sollte man nicht von „Finger- und Fußnägeln“, sondern lieber von „Finger- und Zehennägeln“ sprechen und schreiben. Gewiss, um einen Sprachaspekt von zentraler Bedeutung handelt es sich hierbei nicht gerade, aber doch um eine recht interessante Fuß-Note...

KW
26
2005

Der Fliegenkopf IV

Ganz doll voll – und doch nicht restlos besetzt?

Egal, ob bei manchem Spiel des Fußball-„Confederations Cups“ oder beim traditionellen Sommerkonzert der Berliner Philharmoniker in der hauptstädtischen Waldbühne (der im Übrigen schönsten Freilichtarena Deutschlands): Stets vermelden die Medien nach solchen und ähnlichen Anlässen, das Spektakel sei „bis auf den letzten Platz ausverkauft“ gewesen. Gemeint ist damit: Das Stadion oder das Theater war zu 100 Prozent voll, die Publikumsränge waren restlos besetzt, es gab keinen einzigen freien Platz mehr. Kein Gedanke jedoch wird von denen, die nach raschem Griff in die Floskel-Schublade die abgewetzte „bis auf“-Sprachstanze einmal mehr auf die zeitunglesende Menschheit loslassen, daran verschwendet, dass „bis auf“ in jedem anderen Zusammenhang so viel bedeutet wie „mit Ausnahme von“ – zum Beispiel: „Bis auf Frank und Karin, die leider terminlich verhindert waren, konnten alle ehemaligen Mitschüler am Klassentreffen teilnehmen.“ Somit müsste in jeder „bis auf den letzten Platz“ gefüllten Arena immer noch genau ein Plätzchen frei sein – seltsam, dass es demzufolge kaum einem Veranstalter gelingt, wirklich alle Tickets an den Mann oder die Frau zu bringen!

KW
25
2005

Der Fliegenkopf III

Brüsseler Sprach-Spitzen – die „und“-Frage

Die Europäische Union steckt in einer tiefen Krise – nie ist das deutlicher geworden als nach dem gescheiterten Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs Mitte Juni. Stopp! „Staats- und Regierungschefs“? Entspräche diese Formulierung, die von allen (!) journalistischen Beobachtern der europäischen Szenerie immer und immer wieder verbreitet wird, tatsächlich der Realität, müssten bei diesen Anlässen entweder Amtsträger versammelt sein, die in ihrem jeweiligen Heimatland sowohl Staatsoberhaupt als auch Regierungschef sind (Personalunionen, die es europaweit jedoch nirgends gibt), oder aber jedes EU-Land müsste in Brüssel gleich mit zwei Repräsentanten, nämlich dem Staats- und dem Regierungschef, vertreten sein. Dies hieße, dass von deutscher Seite Bundespräsident Köhler und Bundeskanzler Schröder an den Gipfeltreffen teilzunehmen hätten, und die der EU angehörenden Monarchien müssten zusätzlich zu ihren jeweiligen Ministerpräsidenten gar ihre gekrönten Häupter an den Brüsseler Verhandlungstisch entsenden.
Was den verunglückten Begriff „Staats- und Regierungschefs“ vermeintlich erforderlich macht, ist die Tatsache, dass in einem einzigen EU-Mitgliedsland – nämlich in Frankreich – die exekutive Regierungsverantwortung aus verfassungshistorischen Gründen nicht beim Minister-, sondern vorrangig beim Staatspräsidenten liegt. Dies hat zur Folge, dass sich zu den Gipfeltreffen der 25 EU-Länder in der Regel 24 Regierungschefs und – als protokollarischer Primus inter Pares – ein Staatsoberhaupt (Jacques Chirac) einfinden. Um diese Zusammensetzung des EU-Spitzengremiums zu beschreiben, ist jedoch die Präposition „und“ definitiv das am wenigsten geeignete Wort; stattdessen sollte man besser von den „Staats- bzw. Regierungschefs“ sprechen und schreiben.

KW
24
2005

Der Fliegenkopf II

Wenn „Missbrauch“ missbraucht wird

Michael Jackson, der „King of Pop“, ist in allen Anklagepunkten freigesprochen worden; nun ja. Die Anklage lautete auf Kindesmissbrauch – womit wieder einmal bewiesen wäre, dass die fachsprachlichen Kreationen der Juristenwelt durchaus recht unüberlegt sein können. Oder hat von den Angehörigen der Jurisprudenz-Branche mal jemand darüber nachgedacht, dass der (positive) Gegenpart zum (negativen) „Missbrauch“ der „Gebrauch“ ist? Wer aber wollte jemals von „Kindesgebrauch“ sprechen? Wohl niemand, und das zu Recht – hätte man es hier doch mit einem Begriff zu tun, der in seinem negativen Klang dem „Kindesmissbrauch“ in nichts nachstünde.

KW
23
2005

Der Fliegenkopf I

Deutschland hat die Wahl(en)

Wenn Bundespräsident Horst Köhler, wie allgemein erwartet wird, demnächst den Deutschen Bundestag auflöst, kommt es zu den offensichtlich allseits ersehnten Neuwahlen – so ist es landein, landaus zu lesen und zu hören. Aber: Wieso eigentlich „Wahlen“ im Plural? Auch wenn es rund 60 Mio. Wahlberechtigte gibt, bleibt der Urnengang des Wahlvolks dennoch eine Wahl (so formuliert es im Übrigen auch das Grundgesetz). Die Verwendung der Mehrzahlform ist nur dann gerechtfertigt, wenn tatsächlich von mehreren unterschiedlichen Vorgängen die Rede ist – wie es sie zum Beispiel im Februar 2003 gab, als am selben Tag in Hessen und in Niedersachsen je eine Landtagswahl, also insgesamt zwei Landtagswahlen, stattfand(en).